Termine & Veröffentlichungen

Es war mein erster Schreibversuch: 2015 durfte ich für Christiane Rösels Buch "Veränderung - Wenn aus Lebenswenden Neues wächst" (SCM Verlag) etwas beisteuern. In dem Erfahrungsbericht geht es um die Herausforderung durch verschiedene Umzüge in meinem Leben. Während ich jetzt tatsächlich in der Fortsetzungsepisode steckte, erinnerte ich mich an den damals verfassten Text…

Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Christiane Rösel 

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Haben Sie eine Ahnung davon, wie elend es sich anfühlt, alles zurücklassen zu müssen? Nicht nur die hübsch eingerichtete Wohnung, in der die Kinder den prägendsten Teil ihrer Kindheit verbrachten. Sondern auch die Arbeit, die Spaß macht und an der ich mich zu Hause fühle. Vor allem aber Menschen, zu denen über die Jahre eine Vertrauensbeziehung entstanden ist. Diese Reihe ließe sich endlos fortsetzen. Plötzlich spüre ich, dass mir selbst die Straßen der Stadt oder die Bäume vor dem Fenster ans Herz gewachsen sind. Ich schätze das Vertraute und bin ein eher beständiger Mensch, als ein wagehalsiger. Ein Kopfsprung vom 3-Meter-Turm käme mir - nach schlechten Erfahrungen in der Kindheit - nie in den Sinn. Aber im Leben müssen wir manchmal springen. Gefühlt sogar vom 5-Meter-Turm!

Was das für mich bedeutet? Gedanklich gehe ich sechs Jahre zurück: Zu der Zeit lebe ich mit meiner Familie in Aue im Erzgebirge. Dies ist eine Stadt wie viele andere, aber wir fühlen und wohl dort. Unser Sohn und unsere Tochter sind in der Vorpubertät. Sie haben den Schulwechsel ans Gymnasium gut verkraftet und freuen sich über viele Freunde. Unsere Tochter pflegt ausgefallene Hobbies. Wir sind als Familie Teil einer lebendigen Gemeinde. Für mich gibt es herausfordernde Aufgaben in der Frauenarbeit und ich blühe darin auf. Meine berufliche Situation ist haargenau passend für mich. Ich arbeite einige Stunden als Krankenschwester in einer Frauenarztpraxis. Zahlreiche positive Beziehungen sind im Laufe der Jahre gewachsen, besonders auch zu Menschen, für die der christliche Glaube eher fremd ist. Dazu löst es in mir ein besonderes Glücksgefühl aus, dass wir endlich ein lang aufgeschobenes Projekt realisiert haben: Die Decke im Wohnzimmer von 3,30 Meter auf 2,80 Meter abzuhängen. Nun ist alles fertig und das Zimmer in meinen Traumfarben orange-beige gestaltet. Ich denke: „So kann es bleiben. So kann es weitergehen…“

Ein Anruf bringt alles durcheinander

In dem Moment kommt ein Anruf, der alles auf den Kopf stellt: Eine neue Aufgabe für meinen Mann und ein möglicher Umzug 200 km weiter westlich nah Thüringen? Theoretisch gehören solche Anfragen dazu, wenn man mit einem Theologen verheiratet ist. Aber praktisch kommt unser stabiles Lebensgefüge schlagartig ins Wanken. Mein Mann und ich vereinbaren, drei Tage nicht darüber zu sprechen. In dieser Zeit versuchen wir jeder für sich zu klären, ob wir darin Gottes Weg für uns erkennen und auch bereit sind, ihn anzunehmen. Am dritten Tag sitzen wir auf der Couch in unserem neu renovierten Wohnzimmer, schauen uns an und nicken beide. Wir haben ein Ja dazu. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite beginnen meine Gefühle ihr Eigenleben. Und das passt überhaupt nicht zu dem Ja. In mir rumort es. „Das hatte ich doch schon mal“.

Meine Gedanken gehen elf Jahre zurück: Damals ziehen wir mit kleinen Kindern von Görlitz nach Aue, 200 Kilometer westlicher innerhalb Sachsens. In meinem Herzen tobt ein unglaublicher Schmerz, ein brennendes Verlustgefühl. Ich verliere die Menschen und Beziehungen und meine Arbeitsstelle. Am neuen Ort angekommen, kämpfe ich dann auch mit dem Gefühl der Leere, des Nicht-verstanden-Werdens. Alles ist so fremd.

„Das hatte ich doch schon mal“. Ich sehe mich weitere fünf Jahre zurückversetzt. Wir ziehen als junges Paar von Dresden nach Görlitz, wo mein Mann seine erste Predigerstelle angenommen hatte. Damals, als 25-Jährige, ging ich hochmotiviert, kündigte ohne mit der Wimper zu zucken meine erfolgversprechende Stelle. Erst viel später fiel mir auf, dass meine Seele gar nicht hinterhergekommen war. Oft träumte ich, wieder an meiner geliebten Arbeitsstelle - der Frauenstation des Diakonissenkrankenhauses – zu sein mit den Worten „Hier bin ich wieder…“

Abschiedsschmerz und Trost

Mit all diesen Erfahrungen im Lebensgepäck stellte sich die Frage: Was mache ich damit? Lähmen sie mich, oder stärken sie mich? Doch mitten in diesem inneren Tauziehen ließ Gott ein stilles Vertrauen in meinem Herzen wachsen. Es wurde wie ein Anker, an dem ich mich festhalten konnte. Meine größte Entdeckung war die Beobachtung: Jeder Platz machte Sinn in unserer Gesamtlebensführung! Wenn wir die Berufung nach Görlitz nicht angenommen hätten, wären unsere Kinder nie unsere Kinder geworden. Wir durften sie dort kurz nach ihrer Geburt adoptieren. Wenn Gott uns also in der Vergangenheit genau zur richtige Zeit am richtigen Ort platziert hatte, wird er es auch in der Zukunft tun.

Diese grundsätzliche tiefe Überzeugung ersparte mir nicht den Abschiedsschmerz und die Unsicherheit, wie das Leben am neuen Ort aussehen wird. Ich hatte aus Fehlern gelernt. Ich wollte den Verlust nicht erst in Träumen abarbeiten. Deshalb begann ich, Dinge zu zelebrieren, sie bewusst zu erleben und mich innerlich zu verabschieden. Und Gott sorgte gut für mich, durch Menschen, Texte und besondere Begebenheiten. Nie werde ich die Amsel vergessen, die mitten im Winter sang. Beim Spaziergang durch tiefen Schnee blieb ich wie angewurzelt stehen, als ich überraschend ihre Melodie hörte. Schlagartig formte sich die Gewissheit in meinem Herzen: „Gott hat dieselbe Kraft, die in der Amsel lebt, auch in mein Herz gelegt. Ich werde wieder singen.“ Dieses Erlebnis tröstete mich tief.

Tatsächlich haben wir viel Gutes erlebt. Zum Beispiel konnte unsere Tochter am Gymnasium am neuen Wohnort ein künstlerisches Profil wählen. In Aue wäre das nicht möglich gewesen. Eines Tages beim Fensterputzen hatte ich das Gefühl, dass Gott zu mir sagt: „Zweifelst du immer noch an meinen guten Absichten?“ Diese kleinen Zeichen gaben mir Mut und Zuversicht. Es öffneten sich ganz neue Türen für mich. In Schmalkalden lernte ich wunderbare Menschen kennen, kann Leben und Glauben mit ihnen teilen und von ihnen lernen. Ich erlebe aus nächster Nähe, wie Gott im Leben von Menschen behutsam handelt. Schon für diese Erfahrungen hat sich das Loslassen gelohnt. Auch im Bereich der Frauenarbeit und beruflicher Orientierung kamen Möglichkeiten hinzu.

Umzugsthema abgeschlossen?

Heute lebe ich dankbar und mit großem inneren Frieden genau hier. Ja, im ersten Moment sieht man nur, was man bei einem Umzug verliert. Und der spontane Impuls, der sich meldet, ist: festhalten. Was an Überraschungen und neuen Möglichkeiten am neuen Wohnort liegt, geht weit über den persönlichen Horizont hinaus. Das wusste ich theoretisch und habe es einmal mehr erlebt. Es ist nicht auszuschließen, dass der Tag kommt, an dem ich denke: „So kann es bleiben, so kann es weitergehen“ und wir trotzdem vielleicht wieder packen müssen. Dann werden Ängste und Hoffnungen wieder wild durcheinanderwirbeln. Aber auch mein Vertrauen in Gottes sinnvolle Führung wird da sein - um einige Erfahrungen reicher als noch vor sechs Jahren. Die Umzugserfahrungen haben in mir das Vertrauen groß werden lassen: Gottes Wege machen Sinn. Für Sein großes Ganzes und sogar für mein kleines Leben.

Seitdem lautet einer meiner Schlüsselsätze:
„Ich setzte den Fuß in die Luft – und sie trug.“
Hilde Domin

Christina Ott, 48 Jahre, verheiratet, hat zwei erwachsene Kinder, arbeitet als Krankenschwester und Psychologische Beraterin und wohnt in Schmalkalden/Thüringen.
(Dezember 2015)

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