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"Kinder sind eine Gabe des Herrn!?"

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Akzente Fachzeitschrift für Theologen und Seelsorger - März 2021

Die Fachzeitschrift Akzente richtet sich vierteljährlich an Theologen und Seelsorger. In meinem Beitrag gebe ich Anregungen zum seelsorgerlichen Umgang mit Paaren, die ungewollt kinderlosen bleiben. Dabei kommen sowohl mein eigenes Erleben, als auch beraterische Aspekte zum Tragen. 

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"Kinder sind eine Gabe des Herrn" - Dieser überzeugten Aussage des Psalmbeters (Ps. 127, 3) kann man nur nickend zustimmen. Ein solch kleines Wesen ist ein Wunder - durch und durch. Das überwältigendste Geschenk, welches Menschen in ihrem Leben bekommen können. Ein Geschenk, welches mitwächst und dabei geheimnisvoll und überraschend bleibt. Ja - auch herausfordernd… Niemand, der Mutter oder Vater werden durfte, stand nicht irgendwann auch ratlos und überfordert vor dem lebendigen Geschenk. Der Bibelvers weckt neben der Zustimmung auch Fragen. Vor allem und ganz existenziell bei Paaren, die sich sehnlichst ein Kind wünschen. Auch für geistliche Begleiter, die im seelsorgerlichen Bereich tätig sind und von der Not dieser Paare wissen oder sie zumindest ahnen. Mit diesem persönlich gefärbten Beitrag möchte ich für diese Thematik sensibilisieren und einige Anstöße weitergeben.

Heute ist enorm viel bekannt über den weiblichen Zyklus, über Verhütung, Hormonspiegel und den optimalen Befruchtungszeitpunkt. Per Ultraschall kann die Entwicklung eines Embryos überwacht werden. Und doch entzieht sich das Wunder eines neuen Lebens letztlich unserer Machbarkeit. Ja, Kinder sind eine Gabe des Herrn! Wir können sie nicht selbst „machen“, selbst wenn Paare zielgenau auf eine befruchtete Eizelle hinsteuern. Sogar falls die Schwangerschaft eintritt, bleibt es letztlich eine Überraschung, welches Geschlecht das Kind haben wird, welche genetischen Voraussetzungen es mitbringt, ob es gesund ist und wie es aussieht.

Vorsicht vor dem Umkehrschluss!

Allerdings wird die Umkehrung des biblischen Satzes fatal. Betroffene Paare könnten sonst auf die seltsamsten Ideen kommen, von denen uns damals auch einige durch den Sinn gingen. Sie könnten lauten:

Was denkt sich Gott dabei, uns bei der Geschenkevergabe geflissentlich zu übergehen?
Wenn Kinder eine Gabe Gottes sind und ausgerechnet wir kein Kind bekommen – Wie können wir dann Gottes Güte und Fürsorge tatsächlich vertrauen?
Was können wir tun, um Gott doch noch „umzustimmen“? Mehr beten? Deutlicher unter Beweis stellen, wie ernst es uns mit unserem Glauben ist?
Oder ist an uns irgendetwas nicht richtig?
Nach dem ersten Betäubungsschmerz können sich weitere Fragen melden:

Darf man bei Geschenken, die ausbleiben, nachhelfen?
Wieviel Eigeninitiative ist erlaubt? Bis wohin haben wir die Freiheit, Hilfen der modernen Reproduktionsmedizin in Anspruch zu nehmen?
Als junges Paar buchstabierten wir diese Fragen tatsächlich durch. Johannes war damals Theologiestudent, ich Krankenschwester auf einer Frauenstation. Wir bemühten uns, ethisch-theologisch und auch persönlich abzuwägen und trafen für uns eine Entscheidung: wir stellten einen Adoptionsantrag. Denn wir konnten es uns nicht vorstellen, die erste Dienststelle anzutreten und uns doch vorwiegend um uns selbst, um den Zyklus und Behandlungstermine zu drehen. Genau dies hätte der Schritt in Richtung Reproduktionsmedizin bedeutet. Letztlich beschenkte Gott uns auf besondere Weise mit zwei wunderbaren Kindern, die wir als Babys adoptieren durften. Dies war unser Weg oder Gottes Weg mit uns – Keinesfalls möchten wir diese Entscheidung verallgemeinern.

Kinderlose Paare seelsorgerlich begleiten

In biblischen Berichten kommt beides vor: Kinderlosigkeit als Vorbereitung auf ein Kind, welches eine besondere Rolle haben wird (Richter 13) und als „Strafe“ (2. Samuel 6,23). Ich scheue mich sehr, dieses Verständnis auf heute zu übertragen. Vielmehr sehe ich in Kinderlosigkeit eine herausfordernde Krise für Partnerschaften und die Zumutung an die Betroffenen, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie sie mit nicht erfüllten Wünschen umgehen. In Deutschland liegt die Zahl der Paare mit unerfülltem Kinderwunsch bei etwa 15 Prozent. (Ursachen der Unfruchtbarkeit: 30 Prozent beim Mann - 30 Prozent bei der Frau - 20 Prozent Kombination aus beiden Partner - 20 Prozent unklar). Also ist damit zu rechnen, dass ein ähnlicher hoher Prozentsatz auch bei jungen Paaren in unseren Gemeindekreisen und persönlichen Beziehungen zu finden ist. Ganz zu schweigen von den Singles, für die das Thema Kinderlosigkeit natürlich auch mitschwingen kann. Als Seelsorger und Verkündiger werden Sie mit dieser Thematik wissentlich oder unwissentlich Kontakt haben.

Welche Haltung und welche Fragestellungen könnten hilfreich sein? Wir haben selbst erlebt, dass zu einfache geistliche Antworten schmerzen. Ebenso natürlich, wenn niemand nachfragt oder zu ungestüm nachfragt. Kinderlose Paare können wie rohe Eier sein, die behutsame Behandlung brauchen. Gleichzeitig wollen sie gesehen und ernst genommen werden. Mitfühlendes Schweigen passt weitaus besser, als lapidar dahingesagte oder flapsige Sätze. Mit dem Wissen von heute könnte ich mir folgende Gesprächsansätze als tröstlich und ermutigend vorstellen:

  • Wo steht ihr? Welche Fragen quälen euch?
  • Was macht das mit eurem Gottesbild? Wie kann ich euch helfen, eure Enttäuschung über Gottes Wege zu verarbeiten und nicht bitter zu werden
  • Möchtet ihr vertraulich oder offensiv damit umgehen? Darf die Gemeinde euer Anliegen mittragen?
  • Kann ich euch mit Menschen in Kontakt bringen, die Ähnliches durchlebt haben?
  • Wofür darf ich beten?

Echte Trauerarbeit kann angezeigt sein, nicht nur über Fehlgeburten, sondern auch über nicht empfangene Kinder. Nachdem erste Trauerphasen bewältigt sind, könnten weiterführende Denk- und Gesprächsrichtungen sein:

  • Welche Gabe hat Gott in dein/in euer Leben gelegt? Denn Kinder sind nicht die einzige Gabe des Herrn...
  • Welche Chance könnte in diesem Verlust stecken?
  • Wofür könnte eure Liebe und Kapazität gebraucht werden?

Ungewollt kinderlose Paare werden krisenhafte Zeiten durchleben und auch Stärkung für ihre Partnerschaft benötigen.

Freiheit gewähren

Ein nicht unwesentlicher Aspekt zum Schluss. In Zukunft wird vermehrt Paare geben, die bewusst keine Kinder haben wollen. Ihnen sollte die Freiheit gegeben werden, sich so entscheiden zu dürfen. Auch für sie gilt: Gott verteilt viele Gaben. Er kann persönliche Entscheidungen in seine Pläne einbinden und darin Segen wirken.

Christina Ott
Psychologisch Beraterin/Supervisorin, Referentin und Autorin

 

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